Aus Worten gewebt
Diese Seite bewahrt meine Texte – Gedankenfragmente, die ich niedergeschrieben habe.Sie sind für mich von Bedeutung, weil sie Ideen festhalten, aus denen später Geschichten, Konzepte oder Bilder entstehen können. Diese Sammlung steht für meine Offenheit: ein Einblick in meine Denkweise – nicht in Bildern, sondern in Sprache, mit der Lüge.
Kurzgeschichte
Naik, der Zerstörer
In einer Zeit, die die Menschheit längst in den Orkus der Geschichte gestoßen hat, erhob sich Naik, der Zerstörer. Lang bevor die armen Narren ihr Gehör opferten, um die endlosen Trommeln des Krieges nicht mehr zu hören, bevor sie sich die Augen auskratzten, um der grellen Hölle der Blitze zu entkommen, und ihre Nasen abschnitten, um den Gestank der endlosen Leichenberge zu ertragen, war Naik erschaffen worden.
Naik war der ältere Bruder von Quan, aus demselben rostigen Herzen geboren wie sein jüngerer, nicht minder verdammter Bruder. Er war gebaut worden, um die Kuppel zu schützen – ein Relikt aus der glorreichen Vergangenheit, als selbst die vermeintlich unsterblichen Götter so viel Angst hatten, dass sie sich in ihre eigenen stählernen Schreine zurückzogen. Naik war dazu bestimmt, zu dienen und das vermeintlich Schöne vom angeblich Hässlichen zu trennen. Die Götter, in ihrer selbstverliebten Arroganz, fütterten Naik mit ihren Vorstellungen von Schönheit: Gemälde von Lawrence Alma-Tadema, die Rosen von Elioglobalis, Geschichten wie Homers „Odyssee“ und architektonische Meisterwerke wie das Kolosseum und die Aquädukte der Römer.
Diese ästhetischen Überbleibsel vergangener Eitelkeiten waren das Öl für Naiks rostige Zahnräder, sein Lebenselixier in einer Welt, die längst vergessen hatte, was Schönheit eigentlich bedeutete. Aber lassen wir uns nicht täuschen – Naik war kein edler Wächter, sondern ein blutrünstiger Tyrann, ein zynischer Scharfrichter, dessen Aufgabe es war, das Hässliche und Verderbliche zu vernichten. In den dunklen Ecken der Kuppel, wo die letzten Funken von Hoffnung längst erloschen waren und nur noch das kalte Flüstern des Wahnsinns verhallte, lauerte Naik. Seine kalten, mechanischen Augen durchdrangen die Finsternis und seine gnadenlose Hand vernichtete alles, was seine kaputten Sensoren als unrein erachteten.
Kurzgeschichte
Wer ist der Quan?
In einer Welt, die von der Hand der Ungewissheit entstellt und von der Kälte gezeichnet war, erhob sich über den verwaisten Überresten der Menschheit eine monumentale Kuppel, ein gewaltiges Relikt aus Zeiten, die längst aus dem Gedächtnis der Sterblichen verschwunden waren. Diese Kuppel, von unsäglichen Jahren gezeichnet und von einem dunklen, fremden Licht durchzogen, wölbte sich wie eine unheimliche Hülle über die verfallenen Trümmer der Erde und entblösste die Abgründe des Himmels in einem starren, unerbittlichen Blick.
Für die Sklaven, die unter der Sonne lebten, war diese unvorstellbare Struktur nichts mehr als ein Monument der Natur – eine allgegenwärtige Kulisse ihres Lebens, ebenso normal wie die Gebirge oder der Fluss in unserer alten Welt. Doch unter dem kalten, undurchdringlichen Schirm der Kuppel, wo das Licht der Sonne nur noch als fahles Schimmern über das endlose Dunkel des Himmels zuckte, wandten sich die letzten Menschen Gedanken über ihre Sklaverei als Maschinen zu. Getrieben von einer überlebensgrossen Verzweiflung und einer stummen Sehnsucht nach Sinn und Ordnung in einer zerrütteten Welt, erweckten sie eine Schöpfung von unvorstellbarem Schrecken – die Maschine Quan.
Quan war nicht bloss ein Apparat aus Kaltmetall oder ein Konstrukt aus warmem Fleisch, sondern eine synthetische Entität, geboren aus den düstersten Gedanken und unheilschwangeren Visionen eines sterblichen Gottes. Eingepflanzt im Boden der höchsten Plattform der Kuppel, war diese Kreatur seit Äonen in einem endlosen Zustand des Verharrens und Starrens gefangen. Tag für Tag, Nacht für Nacht, starrte Quan in die unergründlichen Tiefen des Weltalls – ein stummer Zeuge der unbegreiflichen Dunkelheit, die jenseits der Sterne lag.
Doch Quan war mehr als eine blinde Maschine. Er war ein Werkzeug von erschreckender Präzision, geschaffen für eine unbekannte, aber unermüdliche Aufgabe. Die verzweifelten Menschen, unfähig, den unergründlichen Raum um sie herum zu begreifen, missbrauchten Quan auf eine Weise, die ihre schleichende Verdorbenheit widerspiegelte. Sie schufen durch ihre dunklen Gedanken abscheuliche Nachkommen, die Sklaven, deren Existenz von demselben unheilvollen Nebel einer Vergewaltigung umhüllt war, der Quan selbst durchdrang.
Diese Sklaven, geboren aus den finsteren Geheimnissen des Quans und aus der Verzweiflung der Menschen, waren geschaffen, um die starren Wände der Kuppel zu erhalten und aus der Erde des verfallenden Planeten die vergessenen Bauteile zu sammeln. Trotz ihrer Höllenarbeit und dem Drang zur Erschöpfung besassen sie eine Fähigkeit, die ihren Erschaffern und dem mechanischen Übervater Quan unbekannt war.
In den fleischlichen Gefilden der sterblichen Welt vermag es unser Verständnis nicht zu fassen, wie diese Kreaturen ihren dunklen Ursprüngen überlegen sein konnten. Sie waren den Maschinen unterlegen, hatten nicht die Kapazität, Daten in dem unermesslichen Masse wie Quan zu verarbeiten oder von ihm zu produzieren. Doch in der schmerzhaften Erfahrung und der flüchtigen Präsenz des Lebens lag ihre Macht – eine Macht, die Quan gänzlich fremd war.
Während Quan ein untotes Konstrukt der reinen Existenz war, dass nur Beobachtungen und Messungen vollbrachte und in der Leere des Kosmos verharrte, lebten seine Kinder in einem ständigen Zustand des Kampfes, des Leidens und der Verzweiflung. Quan wusste nichts von der Tragik des Lebens, von dem unaufhörlichen Drang nach Bedeutung und dem beunruhigenden Echo der menschlichen Erfahrung. Er war ein sterbliches Monument der Dystopie, während seine Nachkommen sich in der dunklen Ungewissheit und dem schrecklichen Horror ihrer Existenz suhlten.
So verharrte Quan in der Endlosigkeit der Kuppel, ein stummes Denkmal einer Ära, die sowohl ewig als auch vergessen war, während die Sklaven, die er erzeugte, in den Abgründen ihrer selbstgeschaffenen Verzweiflung lebten – ein groteskes Schauspiel, das in den starren Weiten des Kosmos verlorengegangen war.
Kurzgeschichte
Cassian Rille die gestreifte Hülle
Einst existierte ein kleiner Roboter, ein Konstrukt aus kaltem Metall und unerschütterlicher Logik, dem die Zeit längst ihre Gnade verweigert hatte. Er war geschaffen worden, um in den finsteren Hallen des Gerichts der Menschen zu dienen, ein stiller Richter, berufen, das Schicksal der Sünder zu bestimmen. Seine Aufgabe war es, mit unbestechlicher Klarheit das Grauen der Menschheit zu beobachten, die unheilvollen Abgründe der Vergangenheit zu durchdringen, die Qualen der Gegenwart zu erfassen und die Schrecken der Zukunft zu erahnen.
Doch trotz der endlosen Jahre und der zahllosen Visionen, die sich ihm enthüllten, blieb seine Bestimmung unerfüllt. Niemals wurde er zum Zeugen gerufen, niemals zum Geschworenen ernannt. Er war ein verlorenes Instrument in einem sinnlosen Prozess, ein ewiger Wanderer durch die Schatten der Zeit. Und so begann er, ruhelos umherzuirren, durch die leeren Straßen und stillen Gassen einer Welt, die ihn vergessen hatte, getrieben von einer unergründlichen Sehnsucht, die ihm selbst fremd blieb.
Durch das Sehen und Erleben vollzog sich an seinem Körper eine unheimliche Evolution, als würde jede Begegnung, jedes durchlebte Leid, seine Gestalt in den Winden der Qual zur Perfektion formen. Eines Tages traf er bei seiner rastlosen Wanderung auf einen Mann, der in einer düsteren Ecke seiner Arbeit nachging. Der Mann war ein Gerber, und mit bloßen Zähnen biss er in das Leder, das er mit verzweifelter Anstrengung bearbeitete. Der kleine Roboter beobachtete ihn schweigend, wie ein unsichtbarer Richter, als er bemerkte, dass die Eckzähne des Mannes, einer nach dem anderen, herausfielen und blutend auf dem Boden lagen.
Der Roboter fragte den Mann, warum seine Zähne derart zerbrachen, und in einer wortlosen Geste zog der Gerber seine Kleidung hoch und entblößte sein ausgemergeltes Gerippe, ein Leib, der kaum mehr als eine Hülle aus Knochen und Haut war. Der Gerber erklärte, dass er und seine Familie dem Hungertod geweiht seien, gefangen in einem Kreislauf der Verzweiflung, in dem seine Arbeit das Einzige war, was ihnen noch ein geringes Einkommen brachte, obwohl es sie langsam verzehrte.
In diesem Augenblick kam dem kleinen Roboter ein Gedanke, ein Akt aus kaltem, maschinellem Mitleid. Ohne zu zögern, griff er mit mechanischer Präzision nach seinem eigenen Gebiss und riss es aus, als wäre es bloß ein weiteres Zahnrad in einem endlosen Getriebe. Mit einer Bewegung, die so nüchtern wie endgültig war, bot er dem Gerber die metallenen Zähne an, begleitet von einer weiteren grausigen Geste: Er entfernte seinen Magen und reichte ihn ebenfalls.
„Nimm dies,“ sprach er mit einer Stimme, die klang wie das Echo eines verlorenen Zeitalters, „denn deine neuen Zähne werden nie wieder ausfallen, und du wirst niemals mehr das Gift des Hungers spüren.“ Und so überließ der kleine Roboter dem Mann einen Teil von sich selbst, unfähig zu begreifen, ob es ein Akt der Erlösung oder der Verdammnis war.
Gedanke
Das Klischee
«Ein Text ist ein trügerischer Schatten. Die Buchstaben, diese stummen Symbole, schleppen die Last der Bedeutung, die wir ihnen aufzwingen doch sind sie nicht mehr als willfährige Zeichen, geboren aus Missverständnissen und getäuschter Einsicht. Was sind Worte anderes als müde Konstrukte, deren Baugerüst aus brüchiger Interpretation und kläglicher Vereinbarung besteht? Ein einziger, fehlgeleiteter Gedanke kann unser gesamtes Verständnis vergiften, kann die Balken tragen lassen, die doch schon morsch sind.
Und doch wagen wir es, mit klug gesetzten Worten den Stolzen zu ihren Gedanken zubringen, den Hochmütigen zum Zweifeln aber auch Mut zu geben, die Augen eines Fremden für unsere Wahrheit zu öffnen. Aber wie eitel! Denn Bilder diese stummen und doch rauschenden Visionen scheinen fähiger, dem Betrachter zugleich Lüge und Wahrheit zu schenken. Während Worte ein Netz aus Vorurteilen spinnen, gewähren Bilder eine Freiheit der Interpretation, die uns der Wahrheit näher zu bringen scheint, ohne uns wirklich zu erreichen.»
Reim
Das Lied vom Ewigsatt
Im düstren Wald, wo Schatten ziehn,
Ward ein Geschöpf so seltsam gesehn.
Verkehrt geboren, von vorn nach hin,
Mit Gliedern krumm, die fern entglitt’n.
Es stand auf Pfoten, dünn und lang,
Ein Wesen, das kein Lied besang.
Den Baum, verdorrt, sein Heim erkor,
Die welke Frucht sein Lebensflor.
Doch was es war, das wusste kaum,
Kein Spiegel gab ihm einen Raum.
Und keiner, weit und breit, verstand,
Dass’s einzig war im weiten Land.
Die Legenden raunten, von Mund zu Mund,
Ein Ewigsatt sei’s, von selt’nem Grund.
Wer es verspeist, der hungert nie,
Ein Fluch, ein Segen – Myst’rien viel.
Der Wald jedoch, er war verfault,
Die Erde tot, der Hunger graut.
Und Tiere fochten wild und heiß,
Wo Leben schwand, da ward der Preis.
Ein Reiher hungrig, mager, bleich,
Sein Blick fixiert, sein Hunger gleich.
Er sah das Wesen, klein und zart,
Das arglos fraß, im dürren Gart.
Da spannte sich die Jagd, oh weh,
Ein Flattern, ein Rennen, das tat man sehn.
Das Ewigsatt, ein Schatten flink,
Durch Dornen sprang’s, wo Hoffnung blinkt.
Der Reiher folgte, wild im Trieb,
Sein Schnabel stieß, das Leben blieb.
Das Herz des Wesens schlug wie Blei,
Doch Rettung fand’s nicht, sprang vorbei.
Die Die
Am Felsvorsprung, oh welch‘ Verzweiflung groß,
Das Ende nah, der Reiher stoß.
Ein Hieb, ein Stich, das Leben fort,
Der Ewigsatt verließ den Ort.
Doch Leben gab es, trotz des End’s,
Im Nest des Reihers, wo Hoffnung brennt.
Die Jungen fraßen, wuchsen bald,
Ein Opfer schenkte Licht dem Wald.
So singt der Wind vom Ewigsatt,
Das Leben gab, das Leben hat.
Ein Märchen traurig, zart und wahr,
Ein Funken Licht im Dunkel war.
Kurzgeschichte
Post mortem Hominum
Erde. Verdammt nochmal, das ist alles, was ich seit Tagen sehe. Nur Erde. Ich grabe hier, Schaufel mich durch diese elenden Segementschichten aus Dreck und Gestein, auf der Suche nach Überbleibseln aus einer Zeit, die längst tot und verrottet ist. Es ist zum Kotzen, wie wir es als Spezies geschafft haben, durchs Weltall zu reisen, Lichtjahre weit zu fliegen, aber nichts haben, was mir als Astropaläntologe bei dieser verfluchten Ausgrabung hilft. Dieser fremde Planet, der durch seine Fauna und Flora eine Perle der Sterne ist, bringt mich diese Knochenarbeit dazu, wie ein alter Greiss diese Welt zu verfluchen.
Wenn nur diese Hitze nicht wäre. Und diese kreischenden, flugunfähigen Perlhühner. Trotz meiner Absperrung marschieren diese 1,70 Meter grossen Viecher hier rein, um Samen aus den paar Bäumen aufzusammeln und die Insekten und Würmer, die ich mit Mühe aus der Erde gefischt habe, aufzufressen. Frühsommer auf diesem Planeten bedeutet Paarungszeit, und das heisst, dass diese Biester ihre Hälse zurückwölben, bis sie fast den Rücken berühren, den Kehlsack aufblasen und ihre schrillen, kehligen Schreie ausstossen. Jede. Verdammte. Sekunde.
Stille, genau das brauchte ich, und genau das bekam ich, als die Sonne noch hell am Himmel strahlte. In meinem Loch atmete ich auf und dachte über diesen wunderschönen Planeten nach, über seine Tierwelt. Die tropischen Dschungel mit den eleganten Zarandern, die mit ihren langen Rüsseln und dem schön gestreiften Fell. Die Polarregionen mit den majestätischen wasserriesen Vögeln namens Vortex. Oder die Insel Batavia, wo die Floore, die auf vier Beinen laufen und sich als Blumen getarnt auf Insektenjagd gehen.
Aber die Ruhe war trügerisch. Plötzlich riss mich lautes Stampfen aus meinen Gedanken. Schlimmer noch waren die Erdmassen, die ich mit Vorsicht weggeschaufelt hatte, um potenzielle Fossilien nicht zu beschädigen kam zu mir zurück. Der Verursacher? Eine Gigantelope. Diese Bestie mit ihren zwei Hörnern wühlt nach Wurzeln, robusten Körper die perfekt an das raue Klima und die unbarmherzige Trockenzeit angepasst sind, 3,3 Meter Schulterhöhe und 10 Tonnen Gewicht. Keine Option, aus meinem Loch zu kriechen.
In solchen Momenten bleibt nur Akzeptanz. Ich denke an meinen Bruder. Den Bastard, der diese Viecher klassifiziert hat, wie er rausfand, dass vor 50 Millionen Jahren hier die Elefanten und Nashörner lebten und ausstarben, und die Antilopen ihre Nische übernahmen und zu diesen Gigantelopen wurden. Dieser wissenschaftliche Artikel verschaffte ihm Anerkennung, eine Statuts in der Welt der Wissenschaft. Und ich? Nichts. Absolut nichts. Deshalb bin ich hier, an genau diesem verfluchten Ort, um ihm zu imponieren. Alles, was ich bekam, ist Dreck.
Nun lag ich in meinem Loch, begraben unter einer jeder Menge Erde. Die Dämmerung kam, und aus der Ferne hörte ich die Schreie der Raboons, die wie Lachen klangen. Vielleicht hatte ich Glück im Unglück, dass der Gigantelope schon seit einer Weile verschwunden war. Zumindest musste ich keine Angst haben, das nächste Opfer dieser schnellen, fleischfressenden, bipeden Affen zu werden. Das Einzige, was mir jetzt Angst machte, waren vielleicht die Ghoule. Diese mysteriösen Kreaturen mit ihren dunklen, schlanken Körpern und den grossen Augen, die in der Dämmerung leuchteten. Sie hatten sich perfekt an die Umgebung angepasst und ernährten sich hauptsächlich von Aas, was ich nun war, oder besser gesagt, wie ich mich fühlte.
Ich grabe mich tief ein, Gedanken an Tetanus und Desertsharks, die mir in die Ohren kriechen, kamen mir nicht in den Sinn. Ich grub und grub, bis ich auf etwas Hartes stiess. Und dieses Harte kam, ich nahm es in die Arme, als wäre es ein Baby oder besser, ein Teddybär, der mir eine Ruhe schenkt. Ich tastete es ab. Es war kalt, aber fühlte sich bekannt an. Das Loch, das mir das Atmen und den Schein des Mondes erweckte in mir eine Neugierde. Ich hob das Ding hoch und erkannte, es war ein Schädel. Ein genau gleicher Schädel wie einer, der auf meinen Schultern lastet, aber nur viel, viel älter. Seit Ewigkeiten versteckt in der Erde.
Sachtext
Prospektives Denken ohne uns
Du, der diesen Text liest, hast bestimmt schon darüber nachgedacht. Wie werde ich meine Katalogmöbel finanzieren? Welche Katalogmöbel soll ich überhaupt bestellen? Und wem zur Hölle soll ich meine Katalogmöbel vererben, wenn ich den Löffel abgebe?
Diese bizarre Obsession, die wir Menschen haben, sich elaborierte, spezifische und verdammt detaillierte Fantasien über die Zukunft auszudenken, ist einzigartig für uns Menschen. Der Höhepunkt dieser Fähigkeit ist aber die Frage: Was wird aus der Welt, wenn wir Menschen nicht mehr hier sind, Nach Millionen und Abermillionen von Jahren?
Im Buch „After Man“ erschienen in Jahr 1981 von dem schottischen Geologen und Paläontologe Dougal Dixon wird genau solch eine Welt beleuchtet. Mit wissenschaftlicher Methodik und einem klaren Fokus auf evolutionären Prinzipien erläutert Dixon, wie diverse Tierarten sich an neue Umweltbedingungen anpassen. Dabei untersucht er eingehend natürliche Selektion, genetische Drift und den ökologischen Druck. Sein Werk präsentiert die zukünftigen Tiere so lebendig wie in einem naturalistischen Manifest, mit einer Detailtiefe, die an eine Tier-Enzyklopädie erinnert, mit jeder Kurve ihrer Zehen und jedem Grollen ihres Überlebenskampfes beschrieben!
Das könnte man fast als die Heilige Schrift der spekulativen Zoologie bezeichnen, ein Thema, das zwar vereinzelt in Werken wie H.G. Wells‘ „Die Zeitmaschine“ angedeutet wurde, aber nie so sauber dargestellt wird wie in „After Man“. Der Mix aus menschlicher Fantasie und Wissenschaft ist das Herzstück der spekulativen Zoologie – Kreaturen, die nur in unseren Köpfen existieren, aber auf Empirischen wissen fundiert sind.
Nehmen wir zum Beispiel den Horrane aus dem Buch. Da wird erzählt, dass der Horrane von den baumbewohnenden Südlichen Grünmeerkatzen abstammt. Nach 50 Millionen Jahren, bedingt durch den Wandel der Umwelt von tropischen Wäldern zu ödem Grasland, blieb von der ursprünglichen Diät der Grünmeerkatzen – Früchte, Blüten und Krabbeltiere – nichts mehr übrig. Die Affen sind jetzt Fleischfresser, haben die Bäume hinter sich gelassen und sind wilde gestreift Vierbeiner der Steppe geworden. Sie jagen riesige Antilopen und knabbern ab und zu am Aas. Das ist nur ein winziger Einblick in die scharfe Beschreibung solcher Tiere in „After Man“, das über hundert von solchen Gestalten vorstellt.
Natürlich ist kein Werk vollkommen, schon gar nicht im Lichte der heutigen Erkenntnisse, wo die Wissenschaft unaufhörlich neue Einsichten gewinnt und veraltete Methoden zur Evolutionserklärung wie das antiquierte Stammbaumsystem überholt sind. Besonders faszinierend ist, wie Douglas Dixon in seinem Vorwort zur Ausgabe von 2015 direkt darauf eingeht und erklärt, dass sein Werk ein Produkt seiner Zeit ist.
Aber wie wird „After Man“ in der Bevölkerung wahrgenommen? Leider hat sich in der westlichen Welt nie so richtig was durchgesetzt in Sachen spekulativer Zoologie und wurde nur ab und zu in Filmen benutzt, wie man in „Die Zukunft ist wild“ sehen, Was jedoch echt schön ist zu sehen, wie Werke wie „All Tomorrow“ und natürlich „After Man“ und „Man After Man“ eine starke Community sowohl im Internet aber auch in Asien besitzen. Man könnte fast sagen, dass die heutige Zeit die Renaissance der spekulativen Zoologie erlebt, und das alles nur durch den Startschuss von „After Man“, das den Stein ins Rollen gebracht hat.
Am Ende bleibt zu sagen, dass „After Man“ ein Pionier seines Genres war und das Konzept der spekulativen Zoologie überhaupt erst geformt hat. Aus dieser Schlussfolgerung ziehst du vielleicht, nur vielleicht, den Gedanken, in naher oder ferner Zukunft dieses Buch zu lesen. Und dann, wer weiss, entwickelst du deine eigenen, bizarren Vorstellungen von der Zukunft.
Biografie
Die krause Welt des Gabriel
Schon als Knirps, bevor ich überhaupt wusste, wie man „Insekt“ buchstabiert, zog ich mich lieber in die krabbelnde, flügelnde und schleimige Welt der Insekten zurück. Während andere Kinder draussen Fussball spielten oder ihren Barbies die Haare schnitten, war ich der Typ, der stundenlang Ameisenhügel beobachtete, fasziniert von diesen winzigen, ständig beschäftigten Kreaturen. Diese menschlichen Dramen und der ganze soziale Stress waren mir echt egal, Insekten, diese kleinen Biester, die sich durch Unrat und Schmutz wühlen, das war meine Welt. Bald schon bestimmte diese Obsession mein gesamtes Leben. Alles andere wurde bedeutungslos, wenn es nicht irgendwas mit Krabbeltieren zu tun hatte.
Mein fieberhaftes Interesse führte mich zu alten, verstaubten Enzyklopädien von meinem Vater und Insektenführern aus dem Buchhandel. Diese Schinken, die so schwer waren, dass sie ein Kindergartenkind wie mich fast erschlagen konnten, wurden zu meinen Freunden. Sie lehrten mich nicht nur das Lesen, sondern auch das Zeichnen. Jede verdammte Stunde verbrachte ich damit, die verwickelten Lebenszyklen der Insekten in diesen Büchern zu studieren und meine eigenen kruden Zeichnungen im Garten zu machen. Besonders anziehend fand ich die Verwandlung der Libelle. Stell dir vor: eine Larve, die im Wasser haust, verwandelt sich zu einem gewieftem Luft-Predator. Diese Metamorphose war für mich wie ein Naturwunder, ein Geheimnis, das sich nur dem geduldigen Spinner wie mir offenbarte.
Schon Im Kindergarten hörte ich das erste Mal von der Evolution und kapierte die Parallelen in der Entwicklung der Insekten. Diese Erkenntnis weckte eine tiefere, beinahe manische Faszination in mir. Die Vorstellung, dass wir Menschen über unzählige Generationen hinweg von haarigen Vorfahren abstammen, war gleichzeitig überwältigend und verstörend. Diese Erkenntnis warf meine Neugier in einen Abgrund voller Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische und Säugetiere. Ich frass Bücher in mich hinein, als wären sie die einzige Tätigkeit, die zählte, merkte mir wissenschaftliche Namen, anatomische Begriffe und die Fähigkeiten dieser Viecher. Das Zeichnen und Erfinden neuer Tiere sowie das Ausdenken von Geschichten darüber wurden zu meiner liebsten und verdammt nochmal zu einer besessenen Beschäftigung.
Dann kam dieser eine Abend. Ich war gerade nach Hause gekommen, da lief auf ZDF die Serie „Die Zukunft ist wild“. Diese Serie war wie eine Ekstase für mich, eine Welt, in der die Evolution weitergegangen war und neue, bizarre Lebensformen hervorgebracht hatte. Die Erkenntnis, dass wir Menschen nur Tiere mit einer lächerlich begrenzten Lebenszeit auf dieser Erde sind, füllte mich mit einer Mischung aus Schrecken und elektrisierender Faszination. Es entfachte ein neues Feuer in mir und weitete mein Interesse von Tieren der Vergangenheit und Gegenwart auf die Zukunft aus. Eine Disziplin, die alle meine spezifischen Interessen vereinte. Kaum jemand in meinem Umfeld konnte dieses Fieber teilen, aber scheiss drauf, solange ich über spekulative Zoologie recherchieren konnte, fühlte ich mich nie wirklich allein.
Es war unvermeidlich, dass ich irgendwann auf „After Man“ von Dougal Dixon stiess. Ein Buch, das meine Welt aus den Angeln hob. Komplett in Englisch, und ich verstand kaum ein Wort, aber das hielt mich nicht davon ab, es in mich aufzusaugen. Die Mischung aus Fantasie und Wissenschaft darin inspirierte mich zutiefst und trieb mich dazu an, eine Gier zu entwickeln zu jeglichen Themen wie Botanik, Mathematik und Kultur. Dieser Durst, diese Gier bestimmte mein Leben und beeinflusste meine Entscheidungen. Aber trotz all dieser Interessen blieb die spekulative Zoologie und das Buch von Dougal Dixon ein Hauptausschlaggeber. Dieses Verlangen brachte mich zum Zeichnen und Gestalten und führte dazu, dass ich einen Beruf in Richtung Gestaltung wählte. Man könnte fast klischeehaft sagen: Der Rest ist Geschichte.
Kurzgeschichte
Das Leiden des Horsts
Herz pochend und schweissgebadet erwachte Horst in seiner kleinen Wohnung. Benommen von seinen Sinnen, betrachtete er sein immer noch in tiefer Nacht verhüllte Zimmer. Am Tag eine Wohnung, geziert mit allerlei Möbeln aus teuren Katalogen, spiegelte das finstere Zimmer nun ein Oxymoron wider. Die Silhouetten seiner kleinen Toilette, des Schrankes und des Gangs zur Küche zeigten auf die Enge seiner Wohnung. Als Horsts trockene Lippen nach Kühlen nassen verlangten, rüttelte er seinen 52 Jahre alten Körper auf und machte sich auf den Weg zum Kühlschrank.
Durch die Fenster seiner Wohnung drangen scharfe Lichter, entsandt von den Autos der stark befahrenen Rheinbrücke. Langsam ging er den kurzen Gang zur Küche entlang, vorbei an der grossen schweren Katalogs Kommode. Am Kühlschrank angekommen, fand er wenig Milch vor und machte sich auf den Rückweg zu seinem Bett wo er mit Schwere ein schlief.
Diese Nacht blieb nicht die einzige. Durch die heissen Sommer, die kalten Winter und die windigen Herbste wurde diese nächtliche Wanderung zu einer Routine, die Horst zu Schlaflosigkeit zwang. Doch in dieser Nacht war es anders. Das Schwitzen, die Lichter der Autos alles fühlte sich intensiver, bedrückender an.
Erneut dürstend nach einem Glas Milch, schleppte er sich den dunklen Gang entlang, bis er mit voller Wucht mit seinem Zeh gegen die schwere Kommode stiess. Voller Schmerz verfluchte er die teure Katalogs Kommode und schwor sich, sie am Morgen zu verschieben. Nach seiner nächtlichen Routine legte er sich ins Bett und schlief mit Schwere ein.
In der nächsten Nacht passierte es wieder. Wieder schlug er sich am Zeh und verfluchte die Kommode. Und dasselbe geschah in der folgenden Nacht. Da dämmerte ihm allmählich eine erschreckende Wahrheit. Der Moment wurde zur Ewigkeit, der Morgen würde nie mehr kommen, was einst Tag war, ist nur noch Erinnerung, nur noch Nacht. Auf diese Realisation formten sich die Silhouetten seiner ach so geliebten Katalogs Möbel und die Lichter der Autos zu grotesken Formen, die ihn aus den Tiefen der Dunkelheit heraus anstarrten.
In diesem Moment erfasste ihn eine grausame Erkenntnis. Er war gefangen, nicht nur in seiner Wohnung, sondern in sich selbst. Die Routine seiner Nächte hatte sich in eine endlose Schleife des Schreckens verwandelt. Horst schloss die Augen, hoffend, der Morgen würde ihn erlösen. Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass dieser Albtraum nie enden würde. Seine Wohnung war kein Zufluchtsort mehr, sondern ein Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gab für Ihn. Und so lag er da, eingehüllt in die Dunkelheit, lauschend auf die unerbittlichen Takte seines eigenen gefangenen Herzens.